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Wohin geht deine Reise

#7 Mehr Hirn für unseren Kompass

Die Welt entwickelt sich weiter – was ist mit Dir? Wohin geht deine Reise? Bekanntlich beginnt jede Reise mit dem ersten Schritt. Doch wohin setzt Du ihn? Und wohin den nächsten?

Wie findet unser Gehirn die Richtung, in die wir uns orientieren? Was hat das mit der Evolution zu tun?

Es gibt zehn Dinge über unser Gehirn, die jeder wissen sollte. Denn wenn wir besser verstehen, wer wir sind und wie wir funktionieren, können wir unser Leben eher zu unserer Zufriedenheit gestalten. Seinen eigenen Geist verstehen, heißt sich selbst erkennen!

Jedem der zehn Eigenschaften widme ich ein eigenen Beitrag. Sie sind durchnummeriert und beginnen alle mit den Worten Mehr Hirn. Manchen beziehen sich aufeinander, aber nicht alle. Man muss sie nicht unbedingt in der von mir gewählten Reihenfolge lesen, denn wenn ein Beitrag auf einen anderen Bezug nimmt, ist ein entsprechender Link vorhanden. Ein vollständige Liste der zehn Überschriften findest du im Beitrag Mehr Hirn bitte!

Energie, Sicherheit und Unterstützung 

So wie die Kompassnadel zuverlässig den Weg nach Norden weist, so kennt auch die Evolution eine klare Richtung. Alles was für sie zählt, ist eine möglichst effektive Nutzung der Ressourcen und die Sicherung des Fortbestands. Wer einen neuen Weg findet, bisher ungenießbare Pflanzen zu verdauen, verschafft sich ebenso einen Vorteil, wie der, der mit seinem neuen Speer mehr Mammuts erlegt. Beides sorgt für einen vollen Bauch und neue Energie. Das verbessert nicht nur die Überlebenschancen, sondern auch die Möglichkeit, Nachkommen aufzuziehen.

Es geht darum, auch morgen noch da zu sein und mitzuspielen. Zwar kann kein Individuum ewig fortbestehen, wohl aber die eigene Art. Und das ist, was in letzter Instanz zählt.

Wir Menschen haben eine zusätzliche Möglichkeit gefunden, unsere Spielchancen zu erhöhen: Arbeitsteilung und gegenseitige Unterstützung. Durch Kooperation mit anderen vergrößern wir die Chancen auf Fortbestand noch einmal gewaltig. Denn gemeinsam lassen sich sowohl die Ressourcen besser nutzen, als auch der Fortbestand sichern, den eigenen und auch den der Gemeinschaft.

 

Blick in den Maschinenraum

Essen, Sicherheit und Kooperation – das sind die „ultimativen Ziele“, die in der Tiefe unseres Gehirns, ganz unbemerkt, die Kompassnadel ausrichten.

Vereinfacht gesagt ist unsere Steuerung – unser Geist – darauf programmiert, die „Maschinerie“ in Richtung Überleben zu lenken, also nach Ressourcen und Buddies Ausschau zu halten. Das heißt nicht, dass jeder Schritt direkt oder sofort in diese Richtung führen muss. Längst besteht unser Leben nicht mehr nur aus Essen, Vorräte sammeln, Nachkommen zeugen und mit dem Klan nächsten Lagerplatz zu ziehen. Inzwischen werden diese Dinge eher nebenbei erledigt. Sie sind im allgemeinen Bedeutungsranking weit hinter Karriere, Facebook oder Bungee-Jumping zurückgefallen, jedenfalls an der Oberfläche.

Doch tief in unserem Gehirn zeigt die Kompassnadel noch immer nach Norden, oder in Richtung ultimatives „Ziel“. Dabei sendet sie Signale auf einer vertrauten Frequenz, der Gefühlsfrequenz. Gefühle signalisieren uns zuzugreifen, wann immer sich Gelegenheiten bieten, sei es bei Essbarem, bei Ressourcen allgemein oder bei Paarungspartnern. Gefühle treiben uns auch ständig dazu, nach Freunden Ausschau zu halten oder Feinde zu entlarven. Schließlich taugt nicht jeder für die gemeinsame Jagd.

 

Der Kompass wird geeicht

Leider wurden die Sensoren unseres Kompasses für etwas andere Bedingungen geeicht. Ehrlich gesagt stammen sie aus der Steinzeit. Eine Zeit, in der Essbares selten zu finden und Ressourcen knapp waren. Und es galt, möglichst viele Nachkommen ins Rennen zu schicken, weil nur wenige jemals die Zielgerade erreichten. Die spärlichen Genossen, mit denen man sein Leben lang zu tun hatte, blieben selbstverständlich immer die gleichen. Und was Fremde anging, war man sich einig: ihnen sollte man lieber nicht trauen oder besser noch, gleich zuschlagen.

Das heißt, wesentliche Instrumente unseres Geistes wurden für ganz bestimmten Bedingungen entwickelt. Unsere Vorfahren lebten in einer an Platz und Ressourcen vollen Welt, doch richtig nutzen konnten sie beides nicht. Denn der Platz allein bot noch keinen Schutz. Und Ressourcen mussten erst einmal erschlossen werden oder zugänglich sein. Deswegen glich das menschliche Leben eher einem allgemeinen Mangelzustand. Der musste zusammen mit einer kleinen, auf ewigen Zusammenhalt angewiesenen Gruppe bewältigt werden. Für eine solche Lebenswelt entwickelte die Evolution passende geistige Instrumente. Und sie senden auf der Gefühlsfrequenz.

 

Kein TÜV mehr

Inzwischen haben sich die Bedingungen aber umgekehrt. Wir leben in einer an Ressourcen begrenzten Welt, mit weit verbreitetem Überfluss. Gleichzeitig hat sich die überschaubare Jägertruppe aufgelöst in eine fluktuierende Weltgemeinschaft.

Leider hat noch kein TÜV für eine Neu-Kalibrierung der Kompass-Sensoren gesorgt! Tief in unserem geistigen Maschinenraum arbeiten noch immer diese auf Steinzeit geeichten Modelle. Klar, dass das zum Problem wird in einer Überflusswelt, umgeben von tausenden, immer neuen Gesichtern. Wer hier blind seinem erstbesten Gefühlsimpuls folgt, leidet schnell unter Übergewicht, sieht überall Feinde und hat viel zu viele Freunde, aber keine richtigen. Der Kompass versagt, die Nadel dreht sich auf einmal unaufhörlich im Kreis.  

Nun ist Effektivität gefragt

Doch der Kompass an sich ist nicht defekt, er muss nur neu geeicht werden. Die Evolution belohnt ja nicht nur das Nimm-so-viel-wie-möglich-Prinzip, sondern auch das Gebrauche-es-effektiv-Prinzip! Während sich ersteres vornehmlich in einer an Ressourcen „vollen Welt“ bewährt hat, wird in einer „begrenzten Welt“ Effektivität zum Zauberwort. Ebenso ist es mit der Belohnung, die uns der Kontakt mit anderen vermittelt. Auch hier spricht nichts dagegen, dass das Achte-auf-andere-Prinzip weiterhin für Erfolg sorgt – und nebenbei auch für Glück! Worauf es ankommen wird, sind stabile, überschaubare Netzwerke mit echten Rückkopplungen, nicht abertausende, anonyme, immer neue Follower.

Jeder muss mal zum TÜV

Doch der notwendige Eichvorgang hat es in sich. Er lässt sich nicht so einfach wegdelegieren oder nebenbei erledigen. Das dürfte jedem klar werden, der sich genauer mit dem eigenen Gedankenkarussell beschäftigt. Diesen Job kann man nur selbst erledigen. Und anstrengend ist er auch! Denn es gilt, die Sache geschickt vom Kopf auf die Füße zu stellen . Nur so lässt sich das wirklich eigene, also langfristige Interesse wahren.

Das geht freilich nicht ohne Beschränkungen. Früher, unter der sengenden Sonne der Savanne, hat die Natur die Beschränkungen vorgegeben und uns damit die Entscheidung abgenommen. Heute hat sich das Blatt gewendet. Die Entscheidung liegt bei uns selbst. Mit der Konsequenz, dass Selbstentwicklung gleichzeitig auch Selbstbeschränkung bedeutet. Um so wichtiger wird es da, über einen zuverlässigen Kompass zu verfügen.

Selbsterkenntnis

So verrückt es klingt: „Das ist mir wichtig“, geht uns ziemlich leicht von den Lippen. Trotzdem wissen wir oftmals nicht, was uns, oder unserem Gehirn, wirklich wichtig ist. Das betrifft bei weitem nicht nur den Griff in die Haribo Tüte. So manch eine oder einer legt eine steile Karriere hin, um am Ende festzustellen, dass es ein völlig falscher Weg war. Wobei sich das „feststellen“ meist nicht in einer klar artikulierbaren Einsicht zeigt, sondern in einer latenten Lebensunzufriedenheit. Vielleicht äußern die Betroffenen sogar, dass ihr innerer Kompass an Zuverlässigkeit eingebüßt hat. Aber die Karriere ließ einfach keine Zeit, um mal beim TÜV vorbeizuschauen.

Zu wissen, wo man wirklich hin will, ist alles andere als selbstverständlich. Um sich auf die innere Stimme verlassen zu können, muss der Kompass funktionieren. Es lohnt sich, dafür tief in den eigenen Maschinenraum hinab zu steigen, am besten täglich. Hier winkt die TÜV-Plakette, andere nennen es schlicht Selbsterkenntnis.

 

Wer tiefer eintauchen möchte:

  • Ich kenne niemanden, der so gründlich wie Norbert Bischof die Brücke schlägt, von unseren biologischen Wurzeln zu abstraktem Denken. Aber Vorsicht: der Untertitel weist darauf hin, dass es sich um „Ein Grundkurs für Anspruchsvolle“ handelt: Psychologie
  • Wie sich Widersprüche bei den eigenen Zielen auswirken, hat beispielsweise Joachim Brunstein von der Uni Gießen untersucht: Personal goals and emotional well-being (1998)

 

 

 

 

 

 

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